Rechtspopulismus in Osteuropa und seine Folgen

Ein Gespenst geht um in Europa- Das Gespenst des Populismus.

Europa verändert sich. Spätestens seit der Europawahl 2014 ist klar, dass ein extremes Erstarken rechtspopulistischer Parteien nicht mehr undenkbar ist. Parteien, die vorher noch als Randphänomene abgetan wurden und nach 1-2 Wahlperioden wieder in der Versenkung verschwanden, finden seit etwa 2 Jahren einen kontinuierlichen Aufschwung in sämtlichen Ländern und nutzen dabei für sich die immer größere ökonomische und soziale Unsicherheit und Unberechenbarkeit in der unter den kapitalistischen Zwängen leidenden Gesellschaft. 
In vielen europäischen Ländern konkurrieren die etablierten Nachkriegs- oder Postostblockparteien mit den neuen rechtspopulistischen Parteien um ihre Wähler_innenschaft. In Mittelosteuropa hat dies zu Gunsten der Populist_innen auch in mehreren Ländern funktioniert. Voranschreitende Beispiele sind dabei die neuen Regierungen von Ungarn und Polen. Ein kritischer Blick auf diese Länder lohnt sich, da die dortige Umsetzung ihrer Politik auch zeigt, wozu eine Regierungsbeteiligung der „Alternative für Deutschland“ (AfD) oder anderen rechtspopulistischen Parteien in Deutschland und Mecklenburg Vorpommern führen kann.

Nationaler Populismus in Ungarn mit Druck von Rechtsaußen

2010 erreichte in Ungarn der „Bund junger Demokraten“ (ungar. Fiatal Demokraták Szövetsége, kurz Fidesz), unter Parteichef Viktor Orbán eine 2/3-Mehrheit im ungarischen Parlament. Mit diesem Wahlerfolg machte sich die Partei auf den Weg, sich von der bisherigen Sozial- und Wirtschaftspolitik des Landes abzuwenden und sich auf den Aufbau einer staatlichen Zentralmacht zu konzentrieren, kurz gesagt, einen autoritären Staat aufzubauen. Dieses Hauptziel wird vor allem durch eine Umstellung des Beamtenapparates und einer Kontrolle der ungarischen Medien durchgesetzt. Dabei bediente sich Orbán mit der Fidesz einer Anhäufung verschiedener Ideologieelemente, um seine parteipolitischen Ziele durchzusetzen und diese in die Bevölkerung zu tragen. An dieser Stelle führt er Nation, Volk, Staat und Regierung als ein einheitliches Konzept an – den sogenannten Orbánismus, der sich unter einer ungarischen Nationalideologie fügt und profamiliäre und prokirchliche Grundsätze voraussetzt. Probleme erklärt er in diesem Zug fast ausschließlich mit dem europäischen Liberalismus und der freiheitlichen Demokratie. Die Fidesz führt damit die ehemaligen Regierungen ad absurdum, indem sie unterstellt, dass diese Aspekte in Ungarns staatlichen Behörden nie funktioniert hätten. Dabei bedient Orbán sich in seinen Erklärungsmustern der Vorstellung einer nationalen Gemeinschaft, die es auf sämtlichen Ebenen zu sichern gilt.
So werden auch angesprochene Korruptionsverdachte mit einer wirtschaftlichen und sozialen Umverteilung zur Stärkung des Volkes erklärt. 
Seit 2015 ist jetzt auch die rechte Partei Jobbik zweitstärkste Partei in Ungarn, die zum einen als „Bewegung für ein besseres Ungarn“ übersetzt wird, sich zum anderen aber auch Übersetzungen als „Bewegung für ein rechteres Ungarn“ finden lassen. Die Jobbik versucht hierbei große Teile der Fidesz-Wähler_innenschaft für sich zu gewinnen. Abseits von Orbáns großen Themen wie Todesstrafe und Zuwanderung ist die Bevölkerung zusehends ermüdet vom Kurs der Fidesz-Partei, da die versprochenen sozialen Verbesserungen schlichtweg ignoriert wurden und stattdessen schlechte Zukunftsaussichten, niedrigen Löhne und Korruption das Leben der Bevölkerung bestimmen. Um potentielle Wähler_innen nicht zu verlieren, lässt sich die Fidesz-Partei von der Jobbik vor sich hertreiben, so dass sich der rechtspopulistische Kurs Ungarns auch in Zukunft wohl weiter radikalisieren wird.
Diese Annahme spiegelt sich besonders in Ungarns Verhalten und Positionen zur Geflüchtetenpolitik wieder, bei der sie sich zum einen gegen Quoten einsetzen und diese auch nicht auf sich anwenden lassen, zum anderen die Grenzen schließen und Gesetze entwerfen, bei denen bei illegalem Grenzübertritt eine Gefängnisstrafe droht und Asylverfahren auf wenige Stunden verkürzt worden sind. Dies alles erklärt die Fidesz mit ihrem ideologischen Rahmenapparat und den Vorstellungen eines ungarischen Nationalismus, zu denen Muslim_innen laut Regierungspartei nicht dazugehören sollen.
Mit Blick auf Mecklenburg-Vorpommern lassen sich gerade in puncto Geflüchtetenpolitik bereits Parallelen aufzeigen. Denkt man an die Massenabschiebungen Anfang Mai vom Flughafen Rostock Laage, bei der über 100 Geflüchtete – unter anderem auch 13 Kinder – abgeschoben wurden, zeigt sich der Innenminister Lorenz Caffier (CDU) bei einem Hardlinerkurs, der als Konkurrenz um Wähler_innenstimmen zur AfD und NPD beobachtet werden kann.

Kirche, Nation und Verschwörungstheorien – ein groteskes Zusammenspiel in Polen

Ähnlich dieser Argumentationslinie handhabt es auch Polen im Zuge der europäischen Geflüchtetenpolitik. Mit dem Regierungswechsel im Herbst 2015 ist in Polen nun die Prawo i Sprawiedliwość (PiS, übersetzt: Recht und Gerechtigkeit) mit einer absoluten Mehrheit an der Macht. Damit errangen sie den zweiten großen Wahlsieg, nachdem sie bereits 2005 eine Regierungskoalition mit der rechtskatholischen Liga polnischer Familien (Liga Polskich Rodzin, LPR) und der radikal-populistischen Partei Samoobroma (übersetzt: Selbstverteidigung) eingegangen waren. Federführend war 2005 schon der Name Kaczyński. Lech Kaczyński war zu dieser Zeit polnischer Präsident, wobei gesagt werden kann, dass er zusammen mit seinem eineiigen Zwillingsbruder Jarosław Kaczyński die politischen Geschäfte führte. Bereits damals fiel die PiS vor allem durch einen katholisch-konservativen, antikommunistischen Law & Order-Kurs auf, bei dem sie sich vor allem ähnlich wie in Ungarn die Korruptionsbekämpfung auf die Fahnen geschrieben haben.
Mit grundsätzlichem Infragestellen und einer damit verbundenen Verschwörungstheorie zu den innen- und außenpolitischen Grundlagen des polnischen Staates nahm die PiS eigene Untersuchungen und vermeintliche Bekämpfungsmaßnahmen vor, die häufig am Rande der Rechtsstaatlichkeit waren. 2007 verloren sie jedoch die vorgezogenen Parlamentswahlen in Polen. Den Höhepunkt der politischen Spaltungen und Auseinandersetzungen der PiS machte danach das Flugzeugunglück in Smolensk aus, bei dem Lech Kaczyński und viele andere hochrangige Politiker_innen des eigenen Lagers ums Leben kamen.
Dies führte auch in der gesamten polnischen Parteienlandschaft zu Spannungen und gegenseitigen Schuldzuweisungen. Weiterhin kam es zu einer Radikalisierung der PiS-Partei. Jarosław Kaczyński nutzte das Flugzeugunglück für seine Verschwörungstheorien und gründete eine regelrechte Smolensk-Bewegung, die aus der PiS hervorging. Dabei unterstellte die Bewegung, dass das Flugzeugunglück über Smolensk ein bewusstes Attentat von Russland gewesen wäre. In diesem Zuge stilisierte sich Jarosław Kaczyński als „einzig wahrer Premierminister von Polen“, der einzig und allein nur in der Lage sei, dass Land von „dunklen Mächten“ und „korrupten Seilschaften“ befreien zu können. 
Erst 2015 war es der „Recht und Gerechtigkeit“ wieder möglich, Wahlerfolge zu erzielen. Dafür nutzten sie weitestgehend einen autoritären Sozialpopulismus, der vor allem die gesellschaftlich benachteiligten und abgehängten Pol_innen ansprechen sollte. Zudem speisten sie diesen Populismus ähnlich wie Ungarns Präsident Orbán mit einer klerikalfaschistischen, profamiliären Haltung, die schlussendlich in einer harten national-katholischen Ideologie mündete. 
Das zeigt sich ganz klar in den drastischen Gesetzesänderungen nach dem Regierungsantritt 2015. Zum einen sind es EU-kritische Forderungen, die mit rechten kapitalismuskritischen Beiträgen einhergehen, zum anderen sind es sehr national bezogene Aspekte bezüglich der Geflüchtetenpolitik, aber auch in der sozialen und wirtschaftlichen Innenpolitik.
Die PiS spricht sich gegen Abtreibung, gleichgeschlechtliche Partnerschaften und damit in Erwägung gezogene Heiraten sowie künstliche Befruchtungen aus und hält das Thema Gender für eine falsche Ideologie, die zur Gefahr für traditionelle Familien und ihre Werte werde. Außerdem fordert die Prawo i Sprawiedliwość eine stärkere Einflussnahme des Staates in der Wirtschaft. Sie setzen sich damit einen nationalistisch-ökonomischen Bezugsrahmen, der unabhängig von globalisierten und europäischen Tendenzen funktionieren soll.
Ähnlich wie in Ungarn wird angestrebt, den Einfluss ausländischer Unternehmen und Investoren zu Gunsten kleinerer inländischer Unternehmen zu senken. Dieses Ziel begründet sich dabei nicht nur in der sozialen Absicherung der Bevölkerung, sondern auch in rassistischen und antisemitischen Dogmen. 
Diese Aspekte versucht die Partei vor allem durch eine restriktive Geflüchtetenpolitik und eine autoritäre, nationalistische Politik im Inland umzusetzen, durch die sie unter anderem mit einer sehr umstrittenen Justizreform die judikative Kontrollinstanz im Staat quasi machtlos gemacht hat. Auch die Abänderung des Polizeigesetzes, bei der die Beschneidung der Bürger_innenrechte zu einem großen Maß durch ausufernde Vorratsdatenspeicherung und das Einschränken von ärztlichen Schweigepflichten bestimmt wird, ist ein Zeichen für den Aufbau eines autoritären Staates im Sinne der national-katholischen Idee. Die einzig zugesicherte Schweigepflicht besitzt nun zum Beispiel nur noch die Kirche.
Ähnlich wie in Ungarn ist auch die Freiheit der Medien durch eine Gesetzesreform eingeschränkt worden, bei der die öffentlich-rechtlichen Medien nun der Regierung als „nationale Kulturinstitute“ unterstellt sind. 
Bei dieser Reihe von Gesetzesänderungen und Reformideen kann eine Ausweitung des Autoritären in Polen nicht nur vermutet werden. Rechte Aufmärsche und Kundgebungen werden vom Staat hingenommen und es erfolgt auch keine öffentliche Stellungnahme von Seiten der Regierung. Als im Herbst 2015 auf dem Marktplatz in Wrocław bei einer Anti-Asylkundgebung von der ONR (Obóz Narodowo-Radykalny, übersetzt: Nationalradikales Lager) und der nationalistischen und rechten Allpolnischen Jugend (Młodzież Wszechpolska) sogenannte „Judenpuppen“ aus Stroh verbrannt worden sind, mischte sich die anwesende Polizei nicht ein und ließ die Rechten gewähren. Trotz einer Verurteilung der Aktion durch die linke Partei „Razem“ und den Wrocławer Bürgermeister schwiegen sowohl Staatspräsident Andrzej Duda als auch Premierministerin Beata Szydło beharrlich zu diesen Ereignissen. Ein ähnlicher Umgang mit Demonstrationen und Kundgebungen von rechten und rechtspopulistischen Parteien ist in Mecklenburg-Vorpommern bereits auch zu beobachten. Der Innenminister Lorenz Caffier und die Polizei lassen seit Jahren rechte Aufmärsche gewähren und drücken diese vor Ort mit aller Macht durch, während Gegendemonstrant_innen ohne Rechtsgrundlage festgesetzt werden und häufig massiver Polizeigewalt ausgesetzt sind. Dies war zuletzt am 1. Mai 2016 in Schwerin und am 8. Mai 2016 in Demmin der Fall.

Und wie weiter?

Eine lange Zeit war in Europa der Populismus nichts Anderes als eine groteske Randerscheinung, die mit der Hoffnung verbunden war, dass sie sich nach einiger Zeit von selbst erledige. Die Beispiele aus Osteuropa zeigen jedoch, dass es jene Parteien geschafft haben, sich ein Wähler_innenpotenzial zu schaffen, was sogar bis zum Regieren eines Landes gereicht hat. Auch wenn Polen und Ungarn mit diesen Wahlergebnissen auf den ersten Blick als spektakuläre Ausnahmen erscheinen, so ziehen in Europa auch weitere rechtspopulistische Parteien nach, wenn man beispielsweise nach Österreich mit der FPÖ, nach Frankreich mit dem Front National oder nach Tschechien mit dem Unternehmerpopulismus von Andrej Babiš schaut. Eine Reaktion und eigene Handlungsmuster der radikalen Linken sind in Europa daher zwingend notwendig. Die parteiliche Mainstreampolitik findet für den stärker werdenden Rechtspopulismus keine ausreichenden Antworten. Punkte wie Nationalismus, soziale Schichtung, Glaube, patriarchale Strukturen und andere Ideologieelemente, die sie selbst etabliert und gefestigt haben, fallen den Mainstreamparteien nun auf die Füße und werden populistisch und radikaler von den genannten Parteien wie PiS und Fidesz, aber auch in Deutschland von der AfD aufgegriffen und verformt.
Mehr als eine zum Teil moralische Distanzierung zu den populistischen Parteien lässt sich von den etablierten Parteien bisher nicht beobachten. Bei manchen führte es zudem auch zu einer weiteren Radikalisierung nach rechts, um das eigene Wähler_innenpotenzial nicht zu verlieren, was man am Beispiel der CDU bereits gut beobachten kann. Diese stellten am 3. Juni 2016 in Güstrow bei ihrem CDU-Parteitag neue Forderungen auf, bei denen sie zum einen schnelle und konsequentere Abschiebungen sowie Asylverfahren fordern und zum anderen auch für eine Aufstockung der Polizei im Bundesland um 500 Polizeibeamt_innen einstehen.
Diese geplanten Maßnahmen sind dabei nur allzu gut auch schon aus Osteuropa bekannt. 
Gerade diese Reaktionen der bekannten Parteien können so nicht gutgeheißen oder legitimiert werden. Es bedarf eines freiheitlichen Denkansatzes, der sich nicht um Wahlerfolge und das daraus befürchtete Verlustgeschäft für die eigene Partei dreht. Hierbei sind emanzipatorische Grundsätze gefragt, die nicht in moralischen Abstufungen gedacht und praktiziert werden, um sich von der nächst gelegenen Partei abzugrenzen. Die derzeitige Parteipolitik führt sich dabei selbst ad absurdum.
Auf der einen Seite ist die Wahlbeteiligung in den meisten Fällen nicht repräsentativ und auf der anderen Seite werden bewusst ungültig gemachte Stimmen nicht mit in die Wahlergebnisse einbezogen und beispielsweise Geflüchteten keine Stimme zugesprochen. Dennoch wird von den Parteien die Wahl als solche als legitimierendes Mittel anerkannt, um selbst an die Macht zu kommen und die eigenen Interessen durchzusetzen. Dies wurde auch in Polen und Ungarn gemacht, wo deren derzeitige Regierungsparteien nun alles daran setzen, den Staatsapparat so zu ihren Gunsten zu verändern, um sich selbst dauerhaft die Macht mit autoritären Mitteln zu sichern. Ein Schelm wer denkt, dass ihm oder ihr das nicht schon aus der Vergangenheit bekannt vorkommt.
Eine ähnliche autoritäre Machtausweitung und Beschneidung von Bürger_innenrechten zu Gunsten eines aufgeblähten Überwachungsstaates könnte auch in Mecklenburg-Vorpommern durch Lorenz Caffier als Ministerpräsident und einen Einzug der AfD in den Landtag bevorstehen. Ein radikaler Bruch mit ausschließenden und diskriminierenden Strukturen wie Nationalismus und Kapitalismus ist daher unbedingt notwendig, bei denen das Modell von Wahlen im herkömmlichen Sinne außer Acht gelassen werden muss. Eine internationale Perspektive mit Blick auf andere emanzipatorische Projekte wie beispielsweise in Kobanê ist dafür wichtig und muss hergestellt werden. Die herkömmliche Parteienlandschaft und Wahlen als Instrument können mit all ihren ausschließenden Mechanismen nicht gutgeheißen werden, wenn sowieso gar nicht gewollt ist, dass eine Beteiligung von allen Menschen möglich ist. Einbinden und Befähigen sollten daher viel wichtigere Wörter für ein schönes Leben sein.
Daher – unsere Antwort: Solidarität.